Der Bundesverband Verkehrssicherheitstechnik e.V. (BVST), d.h. die Lobbyvereinigung der Messgerätehersteller, vertritt in ihrer über die BVST-Website zugängigen Veröffentlichung “Rohmessdaten in der amtlichen Verkehrsüberwachung“ die Auffassung, dass die Rohmessdaten für eine aussagekräftige Untersuchung einer Einzelmessung nicht erforderlich seien. Begründet wird dies mit der Möglichkeit, eine Befundprüfung durch die Eichbehörden vornehmen zu lassen.
Diese Sichtweise hat Eingang in die Rechtsprechung gefunden. So hat das OLG Düsseldorf mit den Beschlüssen vom 10.01.2019 – 2RBs 1/19 sowie vom 10.03.2020 – 2RBs 30/20 – festgestellt, dass die Rohmessdaten nicht benötigt würden. Nach dem Eichrecht könne nämlich ein Befundprüfung durchgeführt werden. Damit wäre prüfbar, ob ein geeichtes bzw. eichfähiges Messgerät die Verkehrsfehlergrenzen einhält und den sonstigen Anforderung der Zulassung entspricht.
Wie schon im Blogbeitrag zur Erläuterung der Befundprüfung dargestellt, bietet das Eichrecht tatsächlich die Möglichkeit einer Befundprüfung. Bis zur Einführung des Mess- und Eichgesetzes im Jahr 2015 war die Befundprüfung im Hinblick auf eine Richtigkeitskontrolle in der Verkehrsmesstechnik allerdings sinnfrei. Sie entsprach nämlich hinsichtlich ihres Umfanges dem einer Eichung. Somit konnten bei einem geeichten Messgerät ohne technische Mängel prinzipiell keine Fehler festgestellt werden. Inzwischen haben sich die Anforderungen an die Befundprüfung mit dem Inkrafttreten des MessEG geändert. Es ist jetzt nämlich die Verwendungsituation zu berücksichtigen.
Vom Ingenieurbüro Stückmann wurde im Jahr 2021 im Rahmen eines Gerichtsauftrages bundesweit erstmalig eine Befundprüfung beantragt. Gemäß dem Gerichtsbeschluss sollte die Richtigkeit der Geschwindigkeitsmessung mit einem Handlasermessgeräts des Typs Riegl LR 90/235 P geprüft werden sollte. Da die Messungen dieses Messgeräts weder fotografisch noch filmisch dokumentiert und auch keine Rohmessdaten gespeichert werden, kann die Messung weder direkt noch indirekt geprüft oder plausibilisieren werden. Die Befundprüfung stellt insofern die einzige Möglichkeit dar, um überhaupt eine Aussage zur Messrichtigkeit treffen zu können.
Die Befundprüfung wurde im Mai 2021 beantragt. Dabei wurde zunächst einmal mit der Eichbehörde geklärt, wie die nach dem Gesetz erforderte Berücksichtigung der Verwendungsituation zu erfolgen hat. Das Eichamt war nach einigen Diskussionen mit der vom Sachverstädigen vorgeschlagenen Vorgehensweise einverstanden. Die Befundprüfung sollte die Messsituation möglichst genau nachstellen, d.h. mit dem Fahrzeug des Betroffenen auf dem gleichen Geschwindigkeitsniveau durchgeführt werden. Parallel zur Messung mit dem zu betrachtenden Messgerät wird die Geschwindigkeit im Messbereich zusätzlich mit einer Referenzmessanlage bestimmt.
Es ergaben sich dann erhebliche Verzögerungen bei der Beschaffung der Referenzmessanlage. Da eine Befundprüfung eines Geschwindigkeitsmessgeräts in dem sich aus dem MessEG ergebenden Umfang bundesweit bisher noch nicht in einem Fall durchgeführt worden ist, verfügt keine der Eichbehörden in Deutschland über eine Referenzmessanlage.
Nach Rücksprache der Eichbehörden mit der PTB wurde abgelehnt, ein mit geringem Aufwand am zu messenden Fahrzeug anzubringendes und beispielsweise von der Automobilindustrie eingesetztes GPS-Geschwindigkeitsmesssystem als Referenzmessanlage zu verwenden. Solche Messgeräte erreichen zwar extrem hohe Genauigkeiten von bis zu 0,02 % des Messwertes, sind aber aufgrund der Unzugänlichkeit der Satelliten nicht “rückführbar“. Aus diesem Grund können solch hochgenaue Messgeräte nach einem Rechtsgutachten der PTB nicht für die Befundprüfung eingesetzt werden.
Erst im Oktober 2021, d.h. fast fünf Monate nach der erstmaligen Kontaktaufnahme mit den Eichbehörden, stand dann fest, dass die PTB der Eichbehörde ein Messsystem mit Drucksensoren als Referenzmesssystem anbietet. Für dessen Installation hätte die Straße gesperrt werden müssen, da es erforderlich gewesen wäre, die (vor wenigen Monaten erneuerte) Fahrbahndecke anzubohren, um die Halter der Drucksensoren befestigen zu können. Außerdem wurde von den Eichbehörden mitgeteilt, dass allein die von Ihnen durchzuführenden Versuche ca. 3 Stunden in Anspruch nehmen würden. Zusätzlich hätte die Straße noch für die Montage und Demontage der Referenzmessanlage gesperrt werden müssen.
Nachdem dem beauftragenden Gericht der zu erwartende Umfang mitgeteilt worden war, sollte aufgrund des unverhältnismäßigen Aufwands auf die Durchführung der den Anforderungen des MessEG genügenden Befundprüfung verzichtet werden. Es konnten daher lediglich vereinfachte Versuche durchgeführt werden, bei denen die Geschwindigkeit des Fahrzeugs entsprechend der tatsächlichen Messsituation gemessen und als Referenz zusätzlich noch ein eso-Einseitensensor genutzt wurde. Das eso-Messsystem des Typs ES3.0 bot dabei die Möglichkeit, die Messung anhand der Rohmessdaten zu überprüfen. Selbst für die gegenüber einer offiziellen Befundprüfung vereinfachten Versuche musste die Straße während einer Zeitspanne von 1,5 Std. mehrfach kurzfristig gesperrt werden, wobei acht Polizeibeamte dauerhaft gebunden waren
Der beschriebene Fall zeigt, dass es sich bei der Prüfung einer Einzelmessung im Rahmen einer Befundprüfung um eine theoretische Möglichkeit handelt, die aufgrund des damit verbundenen Aufwandes aber nicht praktikabel ist. Die mit dem Inkrafttreten des MessEG eingeführte Berücksichtigung der Verwendungsituation ist somit zwar sinnvoll, weil ohne die Verwendungsituation überhaupt keine Prüfung möglich ist, lässt sich praktisch aber bei Fragen zur Messrichtigkeit auf dem Gebiet der Verkehrsmesstechnik nicht oder zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand umsetzen.
Da die Befundprüfung praktisch ist es technisch nicht sinnvoll, sie als Argument dafür anzuführen, dass die die vollumfängliche Prüfung einer Einzelmessung ermöglichenden Rohmessdaten nicht benötigt werden.
Soll die Ordnungsmäßigkeit einer Messung geprüft werden, so ist es zumindest aus der Sicht eines Verkehrsmesstechnikers nicht ausreichend, sich argumentativ auf das Konstrukt des standardisierten Messverfahren oder die Befundprüfung zurückzuziehen. Es liegt auf der Hand, dass nur nach faktischer Durchführung einer effektiven Prüfung eine Aussage zur Messicherheit möglich ist. Da die Befundprüfung aufgrund des mit ihr verbundenen Aufwands praktisch nicht durchführbar ist, ist sie für die Prüfung einer konkreten Messung ungeeignet.